Aquarelle als Inspiration

Die Autorin des Buches „Wirtschaftsästhetik. Wie Unternehmen die Kunst als Inspiration und Werkzeug nutzen“ und Professorin an der Business School Berlin Potsdam, Brigitte Biehl-Missal, lehrt nun auch an der Universität Hannover. Am Institut für Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft studieren Berufstätige in einem Weiterbildungsstudiengang, der Arbeit und Menschen in den Mittelpunkt stellt. Im Lehrplan findet man aktuelle Titel wie Wertschätzende Dialoge, Humor als Burnout-Prävention, Organisationale Achtsamkeit bei Veränderungsprozessen – und so wundert es auch nicht,  dass künstlerische Themen und Methoden wie Ästhetik und Kunst als Quelle für Inspiration, Teamentwicklung mit musikalischen Interventionen, Innovationsdramaturgie und  die Macht der Metapher als Innovationsmethode vermittelt werden.

Brigitte Biehl-Missal hat uns von ihrem Seminar, das sie kürzlich gehalten hat, einen inspirierenden Bericht geschickt:

„Es ist ein seltenes Geschenk, dass wissenschaftliche Seminare illustriert werden. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Tanja Föhr, Teilnehmerin an meinem Seminar „Ästhetik und Kunst als Quelle für Inspiration in Unternehmen“  ihr Feedback in Form von Aquarellen ausgedrückt hat. Eine passendere Antwort hätte man für diesen Seminartitel wohl nicht finden können.

8391278819_60fcf22322_bDie Innovationsmanagerin hat zunächst ein Zitat von Warren Buffet abgewandelt, der von sich behauptete: „I am not a business man, I am an artist“.  Föhrs farbiges Aquarell illustriert dabei sehr treffend, wie viel Management doch mit unscharfen Grenzen und sich verändernden Formen zu tun hat. Nur Wasserfarben können diesen Eindruck vermitteln, da sie anders als die scharfen Linien anderer Farben ineinander übergehen und schlecht „kontrollierbar“ sind. Ebenso wenig wie die Führung von Menschen und geschäftliche Entscheidungen im 21. Jahrhundert.

Ein weiteres Bild verdeutlicht die beiden Seiten von Kunst mit zwei Figuren, die einen dicken Bauch haben. Einerseits geht es um Machtdemonstration wie beim Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer, der sich mit einem Kunstwerk dekoriert, welches in seiner Abstraktheit auch ihn als abstrakt denkend und innovativ präsentieren soll (meine Prezi-Folie im Hintergrund).  Der andere Bauch visualisiert das „Bauchgefühl“, welches viele unternehmerische und individuelle Entscheidungen nicht zu Unrecht beeinflusst. In der Managementforschung ist der Begriff des impliziten Wissen besonders wichtig um zu erklären, wie Menschen sich in Organisationen verhalten. Man geht davon aus, dass dieses von der ästhetischen, also sinnlichen Wahrnehmung beeinflusst ist.

8391785612_4db3d4d359_k8390697637_08c4857ae6_kHier schließt der Stuhlkreis an, bei dem knubbelige Männchen ihre steife Position aufgegeben haben, vielleicht weil sie wie wir im Seminar das Gedicht „The Road Not Taken“ des amerikanischen Pulitzerpreis-Trägers und Lyrikers Robert Frost gelesen haben. Berater bei Boston Consulting haben dies auch durchgeprobt. Die Lehren daraus? Ein Gedicht ist offen, fast unendlich interpretierbar, wird mit näherem Hinsehen und Hinhören noch komplexer und enthüllt weitere Bedeutungen. Genau dies muss eine Führungskraft auch wissen, die sich vom einfachen Entweder-/Oder-Denken verabschieden muss. Beim Gedicht geht es darum, dass an einer metaphorischen Weg-Gabelung eine Entscheidung getroffen werden muss. Der Poet schreibt nicht nur, sondern macht uns fühlen, dass damit ein wenig Einsamkeit und Angst einhergeht, weil es keinen Weg zurück gibt – wie im Leben und auch im Manageralltag, wenn es um Entlassungen und Risiken gehen mag. Schließlich wirft Föhr noch einen Blick auf die Metapher, dass Organisationen wie Jazz sind. Führung wechselt sich ab, es wird improvisiert und es ist Schwung drinnen! Ein Ideal des zeitgemäßen Managements, was aber in der Realität nicht immer hält. Das wirft auch die Frage auf: Wie würde Ihr Unternehmen klingen?  Wer sich ein wenig mit dieser Frage beschäftigt, wird schnell auf Rhythmen, Melodien und auch Dissonanzen stoßen.“

Brigitte Biehl-Missal war im März v.J. Impulsreferentin bei unserem Diskussionsforum im Uhrenmuseum. Die Besprechung ihres Buches „Wirtschaftsästhetik“  lesen Sie im Bereich Literatur.

Und die Zeichnungen von Tanja Föhr finden Sie auch unter diesem Link

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Kunst und Wirtschaft? Bitte auf Augenhöhe!

Karin Wolf

In der Kunst und in der Wirtschaft werden unterschiedliche Sprachen gesprochen und es gelten unterschiedliche Regeln. Die Kunst dient der Unterhaltung und der Erbauung, die Wirtschaft der Warenproduktion und der Gewinnmaximierung. Künstler und Künstlerinnen führen ein Bohemien-Leben und sind im Idealfall zu Lebzeiten arm wie Kirchenmäuse und werden nach ihrem Tod berühmt. Unternehmer sind ausschließlich an Geld interessiert, bereichern sich auf Kosten anderer, haben einen dicken Bauch und eine Zigarre im Mund. Die Liste der Stereotypen ließe sich noch weiter fortzusetzen und würde einmal mehr bestätigen, dass es eigentlich keine natürlichen Berührungspunkte zwischen diesen beiden Welten geben kann.

Wirtschaft fördert Kunst
Umso erstaunlicher ist es, dass es dennoch zahlreiche Begegnungen zwischen Kunst und Wirtschaft gibt. Kunstsponsoring ist in Österreich spätestens seit den 80er Jahren aus der Öffentlichkeitsarbeit großer Unternehmen nicht wegzudenken. Von Firmen gestiftete Kunstsammlungen und Kunstpreise werden von den Medien und der interessierten Öffentlichkeit durchaus positiv wahrgenommen.
Die Rollen sind eindeutig verteilt: die Wirtschaft gibt, die Kunst empfängt. Der Nutzen für die Beteiligten liegt ebenfalls auf der Hand: der Sponsor stärkt sein Image, erreicht bestimmte Zielgruppen und positives Medienecho. Der Künstler oder die Kunstinstitution kann ein Projekt mithilfe von Sach- oder Geldleistungen umsetzen. Im Idealfall also ein Geschäft zum beiderseitigen Nutzen. Leider ist der Nutzen nicht immer so klar: die Sponsoren merken, dass nur das Logo auf den Plakaten und das Inserat im Programmheft doch nicht den erwünschten Effekt bringt. Die Künstler nehmen quasi zähneknirschend das Geld entgegen und fühlen sich dabei oft wie Bittsteller.

Künstlerische Intervention
In einer Situation, wo einer gibt und der andere dankend empfängt, kommen schwer Gespräche auf Augenhöhe zustande. Könnte es Sinn machen, die Kommunikation  von Unternehmern und Künstlern zu ändern? Und wie könnte das ausschauen? Es lohnt sich ein Blick über die Grenzen, vor allem in den angelsächsischen oder skandinavischen Raum, aber auch nach Deutschland, wo sich bereits eine Tradition der „arts based intervention“, der künstlerischen Intervention in Unternehmen etabliert hat. Wirtschaftsbetriebe haben erkannt, dass  sich bestimmte künstlerische Fähigkeiten und Methoden sehr gut für die Problemlösung in Bereichen der Unternehmenskultur, der internen Kommunikation oder der Organisationsentwicklung eignen.

Warum macht es Sinn, Künstler einzuladen, sich mit internen Problemen eines Unternehmens auseinanderzusetzen und einen Beitrag zu leisten? Ich schließe mich hier der Meinung von Danica Purg, Präsidentin der IEDC-Bled School of Management in Slovenien und der Central and East European Management Development Association (CEEMAN), an, die  auf die Frage, was Führungskräfte von der Kunst und von Künstlerinnen und Künstlern lernen können, folgendes antwortete: „Kunst und Künstler inspirieren uns mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen was mit uns und um uns herum vorgeht. Ein Künstler kann uns ermutigen unsere Fähigkeiten, unser Verhaltensrepertoire und unsere Reaktionsfähigkeit zu erweitern. Am wichtigsten ist jedoch, dass uns die Kunst unser eigenes schöpferisches Ich erschließt.“

Ergebnisse, die durch eine Zusammenarbeit von KünstlerInnen und Unternehmen erzielt werden können sind z.B. verbesserte Unternehmenskultur, dialogische Diskussionskultur, mehr Selbstreflexion im Team,  Hinterfragen von Routinen, geschärfte Wahrnehmung. Menschen, die künstlerische Interventionen in Unternehmen selbst erlebt haben berichten, dass sie Selbstvertrauen und Freude an der Arbeit gewonnen haben und dadurch mit anderen offener und positiver gestimmt zusammenarbeiten.

Kunst fördert Wirtschaft
Diese neue Art der Begegnung von Wirtschaft und Kunst unterscheidet sich vom Modell Sponsoring vor allem durch eine Auflösung der Stereotypen. Künstler sind Partner auf Augenhöhe. Anstatt, dass sie von einem Unternehmen unterstützt werden, leisten sie einen essentiellen und professionellen Beitrag zur Lösung von unternehmensinternen Problemen. Nun könnte man fragen, warum einen Künstler und nicht einen klassischen Unternehmensberater? Der Einsatz von Kunst und künstlerischen Mitteln eröffnet allen Beteiligten neue Wahrnehmungs- und Gestaltungsräume. Künstler setzen sich permanent mit ihrer Umgebung und damit auch mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen auseinander. Sie reagieren darauf, sie greifen Themen auf und transformieren diese in ihren künstlerischen Arbeiten und Projekten. Genuines Anliegen der Kunst ist es, „Neues in die Welt zu bringen“, Künstler schaffen Räume für Neugierde, Kommunikation und Kreativität.

Die Idee der künstlerischen Intervention in Unternehmen bedeutet auch, die Kunst aus den „heiligen Hallen“ der Museen und Theater mitten in die Gesellschaft zu holen. Die Mitarbeiter eines Unternehmens kommen unmittelbar mit Kunst in Berührung und können sich so neue Kompetenzen und Erfahrungen aneignen, die zu einer unmittelbaren Steigerung ihrer Lebensqualität führt. Die Künstler wiederum befinden sich nicht im Elfenbeinturm, sondern stellen ihre Fähigkeiten auch für nichtkünstlerische Fragestellungen zur Verfügung, was längerfristig zu einer stärkeren Anerkennung und Honorierung der künstlerischen Leistung führt.

Meine Empfehlung für innovative und zukunftsorientierte Menschen aus der Wirtschaft: Holt Künstler und Künstlerinnen ins Unternehmen!

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Thinktank „Skylab“

Die Western Swedish Chamber of Commerce, die Wirtschaftskammer in Göteborg, war Anfang Oktober Schauplatz einer spektakulären und sehr erfolgreichen Aktion, dem Ideenlabor „Skylab“. Eine konkrete Aufgabe sollte in 24 Stunden gelöst werden:  Wie kann man die Kooperation von Unternehmen unterstützen, die in einer Region weit verstreut angesiedelt sind undin der es an effizienten Verkehrswegen mangelt. 1500 TeilnehmerInnen der von der Wirtschaftskammer organisierten Innovationstagung konnten live miterleben, wie ein Team bestehend aus MitarbeiterInnen der IT-Beratung HiQ und KünstlerInnen, nominiert von Tillt, dem schwedischen Intermediär zwischen Kunst und Wirtschaft, gemeinsam an der Lösung dieses Problems arbeiteten. Und das  publikumsfreundlich in einem Glascontainer, wobei das Geschehen auf einer großen Leinwand beobachtet werden konnte.

Skylab_Foto Handelskammer

Das Ergebnis war nicht nur kreativ, sondern auch sofort umsetzbar: Eine digitale Plattform, die nicht nur die Informationen liefert sondern auch die Kommunikation unterschützt, Support bietet und die ganze Region zu einem Marktplatz mit geschäftigem Treiben macht. Die Präsentation des Ergebnisses war der Höhepunkt der Veranstaltung. Die Teammitglieder hatten die Keywords auf Stoff gemalt und traten als lebende Powerpoint-Show auf.

„Gute Ideen entstehen durch die richtige Kombination von Menschen in einer inspirierenden Umgebung und ohne Vorgaben. Die KünstlerInnen und die ExpertInnen von HIQ bringen ganz unterschiedliche Fähigkeiten mit, aber sie verstehen einander und haben Freude und Spaß an der Zusammenarbeit“, fasste Jerker Lindstein, der Managing Director von HIQ zusammen. „Skylab“ soll nun als Ideenlabor für Probleme etabliert werden, die von Technologie und Kunst nur gemeinsam gelöst werden können.

HIQ ist ein Unternehmen für IT- und Management-Beratung, spezialisiert auf Hi-tech-Lösungen für Kommunikation und Softwareentwicklung
www.hiq.se

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The Trainee

In der von departure organisierten Ausstellung „curated by – kunst oder leben“ im Projektraum Bucher www.projektraum.at habe ich die Arbeit der Künstlerin Pilvi Takala wieder entdeckt. Sie ist mir bei Recherchen zu Praxisbeispielen künstlerischer Interventionen bereits aufgefallen. Ich war damals sehr erstaunt, dass eine Beratungs- und Prüfungsgesellschaft, das internationale Netzwerk Deloitte, eine Künstlerin ins Haus holt, um bei ihren BeraterInnen einen Denkanstoss zu erreichen. Und das mit radikalen Mitteln, die zunächst Irritation, dann Beschwerden, aber letztlich doch Bewusstheit und Selbstkritik auslösten. Die Künstlerin Pilvi Takala wurde als Trainee im Marketingbereich vorgestellt. Mit dieser Funktion verbanden alle ein klares Aufgabenprofil: schreiben, kopieren, telefonieren, vielleicht auch Kaffee kochen, jedenfalls aber „arbeiten“. Takala verbrachte die Zeit allerdings zumeist schweigend und ruhig beim Schreibtisch sitzend oder sogar den ganzen Tag im Lift (Video) und tat – nichts. Wenn sie gefragt wurde was sie mache, antwortete sie: „Denken (Brain Work)“. Die Reaktionen der KollegInnen fielen unterschiedlich aus. Einige interessierten sich ernsthaft für ihr Tun, andere waren verblüfft oder amüsierten sich über ihr Verhalten, andere wieder beschwerten sich heftig in der Chefetage.

Pilvi Takala
Pilvi Takala

 

 

 

Wird „Nachdenken“ in einem Team akzeptiert, oder muss man jedenfalls Arbeit simulieren um nicht „untätig“ zu scheinen? Wenn alle ständig beschäftigt sind, wann denken wir dann über unser Tun nach? Wo ist Raum für Reflexion? Wie kann Neues entstehen? Braucht es dazu einen Auftrag? Oder Impulse von außen? Das waren Fragen, die von dieser künstlerischen Intervention provoziert wurden.

Pilvi Takala, The Trainee (still), 2008, video installation, courtesy of Galerie Diana Stigter, Amsterdam
Auf dieser Site können Sie vier Kurzvideos abrufen, sehenswert ist das vierte Video, „a Day in the Elevator“
http://www.pilvitakala.com/thetrainee01.html

Deloitte präsentierte das Projekt auch in seiner Lounge am Helsinki Vantaaa Airport:© Petri Virtanen Central Art Archives Helsinki

© Petri Virtanen Central Art Archives Helsinki

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Im Gespräch mit KünstlerInnen: Gerhard Flekatsch

Helga Stattler:
Du bist Mitglied eines Netzwerks, das sich den Diskurs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst als Aufgabe gestellt hat. Was wollt ihr damit erreichen?

Gerhard Flekatsch:
Ohne schöpferische Tätigkeit landet unsere Gesellschaft in der Sackgasse. Die Einbeziehung von Kreativarbeit in andere Disziplinen ist für eine positive Entwicklung sehr wichtig, das beweisen etliche Studien. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Wissenschaften. Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Systemen müssen erkannt und aufgezeigt, Denkstrukturen verändert, neue Impulse gesetzt werden. Dazu können Künstlerinnen und Künstler beitragen und es ist eigentlich erstaunlich, dass ihre Fähigkeiten noch nicht intensiv genutzt werden. Sie haben die Fähigkeit zu erkennen was andere nicht sehen, sie finden Muster, sie interpretieren neu und ermöglichen eine erweiterte Perspektive.

Helga Stattler:
Was kann eine Künstlerin, ein Künstler in der Wirtschaft bewirken?

Gerhard Flekatsch:
Zunächst müssen wir uns klarmachen, dass Kunst heute einer der ganz wenigen Bereiche ist, in denen es nicht um die Erfüllung von Zielvorgaben geht, sondern um eine ganzheitliche Wahrnehmung und deren Transformation in universelle Ausdrucksformen. Für ein erfolgreiches Projekt braucht es den Diskurs zwischen Wirtschaft und Kunst auf Augenhöhe. Das gemeinsame Gespräch, in dem Fragen gestellt werden die uns gleichermaßen interessieren und die zu Themen führen, die uns alle betreffen. Wenn es Gemeinsamkeiten gibt, dann können daraus konkrete Projekte entstehen. Wesentlich ist dabei, dass die Möglichkeiten der KünstlerInnen nicht bloss als ein zusätzliches betriebswirtschaftliches Tool verstanden werden,  sondern ein methodisches Hinterfragen der vorhandenen Vorstellungen und Strukturen zugelassen wird.
Die Initiative KWW (Kunst Wirtschaft Wissenschaft) wurde von einem Unternehmer, einer Technikerin und Kunsthistorikerin und zwei Künstlern gemeinsam gegründet. Gerade in der Unterschiedlichkeit der Arbeitsmethoden liegt der wechselseitige Gewinn. Innovation gibt es nicht auf Bestellung – aber sie wird durch geeignete Rahmenbedingungen und erweiterte Horizonte gefördert.

Helga Stattler:
Wie kam es zu der Initiative?

Gerhard Flekatsch:
Wir sind einmal zusammen gesessen – eine Gruppe von Menschen aus der Kunst, der Kunstgeschichte, der Technik und der Wirtschaft – und sind dabei auf Themen gestoßen, die uns alle beschäftigen. Und die Runde war fruchtbarer, konstruktiver als die klassischen Podiumsdiskussionen. Daher beschlossen wir, dem Kontinuität zu geben, sozusagen am „Küchentisch“ sitzend. Die informelle Atmosphäre ermöglicht ein offenes Gesprächsklima. Die Meetings haben ein Thema und eine Intention, aber die Gespräche selbst, der Weg und die Ergebnisse müssen völlig offen sein. Die Qualität, die Künstler hier einbringen, ist das Spielerische, dass die Aufmerksamkeit sich in jede beliebige Richtung bewegen, die Phantasie sich entwickeln kann, neue Betrachtungsweisen, ein ganzheitliches Bild entsteht. In hierarchischen Strukturen ist das verloren gegangen. Der Fokus auf ein verordnetes Ziel verhindert meist erweiterte Blickwinkel.

Helga Stattler:
Wie hat sich die Rolle der Kunst in der Gesellschaft entwickelt?

Gerhard Flekatsch:
Kunst war über Jahrhunderte in der gebildeten Klasse, die die Macht hatte, geschätzt und gleichzeitig gefürchtet wegen ihrer aufklärerischen Wirkung. Die große Masse hatte keinen Zugang zur Kunst. Seit etwa 150 Jahren gibt es zwar eine Öffnung, aber den Menschen wurde kaum vermittelt, wie sie sich der Kunst annähern könnten. Und nun hat der Markt die Kunst entdeckt, der Kunstmarkt boomt. Die Verdinglichung von Kunst als Marktobjekt steht dem Verständnis von Kunst im Weg. Kunst ist nicht nur über Werke zu begreifen, sondern als Wahrnehmungsweise, als Einstellung, als Möglichkeit der Auseinandersetzung. Dann hat Kunst eine gesellschaftspolitische Funktion. Gerade in Europa könnte die Kunst die vielen Unterschiedlichkeiten, die oft ausgrenzend empfunden werden, als verbindende Vielfalt thematisieren. Dazu müssten die Projekte allerdings auch emotional berühren und die Menschen mit einbeziehen. Das würde Aha-Erlebnisse möglich machen und den wünschenswerten Brückenschlag.

Helga Stattler:
Zurück zur Initiative KWW, kannst du mir ein Projekt nennen, das hier entstanden ist?

Gerhard Flekatsch:
2011/12 gab es drei Veranstaltungen mit Themen wie zum Beispiel „Bilder im Kopf“, „Regionale Identität“ oder „Satt und hungrig“ – was braucht der Mensch alles? Dabei diskutierten Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen miteinander und kamen zu erstaunlichen Einsichten. Außerdem hat jeder ein bisschen mehr über die Denkweisen und Methoden in diesen anderen Bereichen erfahren, seien es jetzt die Medien, die Wirtschaft, die Kunst oder die Technik.

Helga Stattler:
Wie wichtig ist dieses technische Knowhow der Künstler?

Gerhard Flekatsch:
Es hilft natürlich in der Kommunikation zwischen den verschiedenen Welten.

Helga Stattler:
Du bringst ja auch vielfältige Erfahrungen mit.

Gerhard Flekatsch:
Das ist richtig. Ich war immer künstlerisch tätig. Schon während meines Medizinstudiums habe ich eine Theatergruppe gegründet, musiziert, fotografisch und malerisch gearbeitet. Im Studium erkannte ich, wie rasch theoretisches Wissen durch neue Erkenntnisse obsolet wird, dass sich dauernd etwas ändert. Der dogmatische Anspruch seiner Vertreter hat mich oft auch irritiert. Vieles ist erst aus dem jeweiligen Zeit- und Kulturgeist heraus verständlich. Dazu hatte ich während meiner Tätigkeit bei der Ärzteflugambulanz einige Schlüsselerlebnisse: Es ging oft um das Überleben des Patienten und in Extremsituationen mussten Entscheidungen getroffen werden. Da erlebte ich, dass es viele Sichtweisen gibt, entsprechend den kulturellen Werten im jeweiligen Land. Gleichzeitig war eine exakte, minutiöse Planung notwendig und kommerziell erfolgreich musste man auch sein. Ich trug 5 Jahre als Geschäftsführer dafür die Verantwortung. Lösungen findet man nur, wenn man die vertrauten Grenzen überschreitet und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen gelingt.

Helga Stattler:
Wann hast du dich dann ganz für die Kunst entschieden?

Gerhard Flekatsch:
2005 wurde mir bewusst, dass mir zu wenig Zeit und Energie für die Kunst blieb. Kunst ist ja nicht nur das Kunstwerk an sich, sondern es geht darum, Kunst zu leben, es als Teil von sich zu verstehen. Man muss sich selbst relativieren, den Bereich des Intellekts und der Sinne verbinden um zu einem erweiterten Wahrnehmungskonzept und Selbstverständnis zu gelangen.

Helga Stattler:
Und was motiviert dich jetzt, dich mit der Beziehung zur Wirtschaft auseinander zu setzen?

Gerhard Flekatsch:
Die Wirtschaft hat so einen großen Einfluss auf die Menschheit, dass eine Veränderung nur unter Einbeziehung der Wirtschaft erfolgen kann. Sie dominiert gemeinsam mit den Medien die öffentliche Wahrnehmung. Denken wir nur an die größeren Städte überall auf der Welt, das Straßenbild ist voll von suggestiven Werbebotschaften. Nun ist die Wirtschaft an einem Punkt angelangt, an dem die gängigen wirtschaftlichen Mechanismen, die in Zeiten des Aufschwungs funktioniert haben, nicht mehr so greifen. Mit der Formel „Ursache-Wirkung“ können wir nicht alles erklären. Um sinnvoll handeln zu können geht es darum, vom reinen Zweckdenken wegzukommen, Abstand zu gewinnen, die Wahrnehmung weiter zu entwickeln, die Bedeutung des Einzelnen für das Ganze zu erkennen. Wie kann man lernen, nicht nur aus der Ich-Position heraus zu agieren sondern ebenso die Wir-Position zu vertreten? Dann wären andere Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens möglich – das ist für Menschen in Entscheidungspositionen eine brandaktuelle Frage, für uns alle die essentielle Herausforderung der Zeit.

Informationen zum Künstler

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Künstler inspirieren und ermutigen

Danica Purg_ceeman.org

Bei einem Vortrag in Wien antwortete Danica Purg, Präsidentin der IEDC-Bled School of Management in Slovenien und der Central and East European Management Development Association (CEEMAN), auf die Frage, was Führungskräfte von der Kunst und von Künstlerinnen und Künstlern lernen können:

„Kunst und Künstler inspirieren uns mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen was mit uns und um uns herum vorgeht. Ein Künstler kann uns ermutigen unsere Fähigkeiten, unser Verhaltensrepertoire und unsere Reaktionsfähigkeit zu erweitern. Am wichtigsten ist jedoch, dass uns die Kunst unser eigenes schöpferisches Ich erschließt.“

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Nachhaltiges Kunstprojekt der Gaulhofer Industrieholding

Manfred Gaulhofer
Manfred Gaulhofer

Der interessanteste Beitrag bei einer Podiumsdiskussion im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste am 28. April, kam von Manfred Gaulhofer, Geschäftsführer der Gaulhofer Industrieholding GmbH. Er berichtete über mehrere Projekte gemeinsam mit Künstlern, wie zum Beispiel eine Theaterproduktion mit dem Regisseur Henning Mankell, ein regionales Kunstprojekt und eine Aktion, in der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv einbezogen wurden und die noch heute, nach fast zwei Jahren, im Unternehmen sicht- und spürbar ist.

Der Konzeptkünstler Werner Reiterer realisierte für Gaulhofer dieses Projekt mit dem Titel „Dicke Luft“. Er befragte die MitarbeiterInnen, was sie an persönlichen Gedanken, Empfindungen und Gefühlen täglich in die Arbeit mitbringen. Mehr als 100 Begriffe wurden ihm genannt, von Wissen, Neugierde, Freude, Sinn, Poesie bis Herzblut, Schweiß und Wutausbruch.

Reiterer „füllte“ diese emotionalen Grundstoffe in Leergebinde aus dem Produktionsalltag des Unternehmens wie Dosen, Kübel und Fässer.Die Gebinde wurden beschriftet und mit Gebrauchsanleitungen versehen. Für „50 Liter Ehrgeiz“ lautet die Anweisung zum Beispiel: Missbrauch strafbar! Bei Überdosierung Missgunst. Bei „Emotionen“ heißt es: Nicht mit anderen Produkten mischen, Explosionsgefahr. Jeder Mitarbeiter konnte die Gebinde im Firmenareal an passenden Orten verteilen. So steht ein großes Fass, das laut Label „Mutters Rat“ beinhaltet, neben einer Werkmaschine, ein Kübel „Kontaktarmut“ vor einer Bürotüre. Noch heute fragen Mitarbeitende: „Wo ist die Dose Geniestreiche?“ oder „Wer hat gerade den Kübel Ärger?“, um sie an einer passenden Stelle deponieren zu können. Eine nachhaltige Botschaft, nicht nur das materielle Funktionieren der MitarbeiterInnen anzuerkennen, sondern auch ihre Emotionen und Werthaltungen wahrzunehmen.

Damit gab Manfred Gaulhofer eine konkrete Antwort aus der Praxis auf die zentrale Frage der Podiumsdiskussion, die da lautete: „Wer braucht Kunst? Wem nützt Kunst? Kunst und Wirtschaft – Unterschiedliche Modelle der Kooperation“. Zu diesem Gespräch im Semper Depot hat der Manager Georg Folian, Vorstand von Warimpex und Initiator der Projekte „Serendipity“ und „georgfolianzeigt“ eingeladen. Mit Folian am Podium waren neben Gaulhofer die Künstler Veronika Dirnhofer und Richard Kriesche sowie als Moderatorin die Regisseurin des Theaters im Bahnhof, Monika Klengel.

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Im Gespräch mit KünstlerInnen: Karl M. Sibelius

Helga Stattler:
Herr Sibelius, gerade konnte man Sie in „Nijinskys Tagebuch“ auf der Bühne des Landestheaters Linz sehen. Sie sind Schauspieler, Sänger und Regisseur, Sie unterrichten in Salzburg am Mozarteum –  und nun absolvierten Sie ein Praktikum in der Hypo Oberösterreich. Wieso das?

Karl M. Sibelius

Karl M. Sibelius:
Ich studiere berufsbegleitend „Kulturmanagement“ an der Universität Zürich. Sechs der 28 Monate  Studienzeit lernen wir jeweils die „andere Welt“ kennen: die Künstler arbeiten in der Wirtschaft, die Betriebswirte im künstlerischen Bereich.

Helga Stattler:
Und wie ging es Ihnen da?

Karl M. Sibelius:
Ich war in der Marketing-Abteilung tätig, da ist der Unterschied zu einem Kulturbetrieb nicht so groß. Überraschend für mich war, wie kreativ die Kollegen sind, wie intensiv sie sich gegenseitig austauschen und um Rat fragen. Mit Begriffen wie Change Management oder Leitbild wird selbstverständlich umgegangen. Und es wird alles durchleuchtet, jede Kostenstelle, ganz radikal. Damit habe ich nicht gerechnet. Da könnte der Kulturbetrieb von der Wirtschaft viel lernen. Andererseits fällt mir in Unternehmen immer wieder auf, dass der Erfolg nur an Zahlen und erledigten Aufgaben gemessen wird, die menschlichen Leistungen zählen kaum. Auch in der Management-Literatur wird das beschrieben. Ich lese gerade ein Buch über Leadership und Bürokratie. Da bekommt man das Gefühl, dass sich die Leute nicht mit der Arbeit identifizieren. Das gibt es im Kulturbetrieb überhaupt nicht, hier könnte die Wirtschaft von der Kultur lernen. Wir könnten also gegenseitig sehr viel profitieren.

Helga Stattler:
Ihre Kollegen in der Bank sagen, ein Künstler bringe andere Blickwinkel ein, er habe einen anderen Zugang zu den Aufgaben, nehme die Dinge anders wahr. Haben Sie das auch so erlebt?

Karl M. Sibelius:
Ja, einige Male. Zum Beispiel merke ich, wenn Gespräche standardisiert ablaufen, in einem Frage-Antwort-Schema, das völlig unabhängig von der Person ist. Das muss doch demotivierend sein. Oder bei Bewerbungsgesprächen. Die laufen perfekt ab, aber so kommt man an die Persönlichkeit nicht heran, man kann nicht entdecken, ob der Kandidat wirklich der Beste ist. Mich interessiert, wie er in einer Extremsituation reagieren würde, wie er mit Irritationen umgeht. Als Künstler hört man gut zu und beobachtet genau. Man kann Themen ansprechen, die sonst tabu bleiben.

Helga Stattler:
Sie werden ab der kommenden Spielsaison Intendant am theater // an der rott im niederbayerischen Eggenfelden sein. Da können Sie diese Erfahrungen bald nutzen.

Karl M. Sibelius:
Bei mir war immer im Hinterkopf der Wunsch ein Theater zu leiten, ein Ermöglicher zu sein. Deshalb habe ich schon vor Jahren am Institut für Kulturkonzepte in Wien einen  Lehrgang absolviert und eben jetzt das Studium in Zürich. Wissen ist Macht. Das merke ich bei Verhandlungen wenn ich das Excel-Sheet öffne mit meiner Projektkalkulation. Da staunt man, dass jemand wie ich eine Bilanz lesen kann. Weil normal hat ein Künstler keine Ahnung davon.

Helga Stattler:
Kulturmanager und Künstler – lässt sich das vereinbaren?

Karl M. Sibelius:
Ich glaube nicht, dass mir das eine vom anderen etwas wegnimmt. Im Gegenteil, ich bin selbstbewusster und entspannter auf der Bühne. In Georg Kreislers Ein-Mann-Musical „Adam Schaf hat Angst“ werde ich im theater // an der rott ein Schauspieler sein, der über den neuen Intendanten lästert, da kann ich mich richtig selber beschimpfen und mit dem Publikum solidarisch erklären (lacht). Ich werde künstlerischer und kaufmännischer Leiter des Theaters sein. Und mein Ehrgeiz ist, dass es ein großartiges Theater wird, eines von dem man spricht. Ich glaube, dass wir uns nicht nur durch die Stückauswahl von den anderen absetzen werden, sondern weil mein Team und ich uns zumindest auch den Kopf darüber zerbrechen, wie man Kunst und Ökonomie auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann. Mal sehen, ob uns das gelingt.

Helga Stattler:
Dann – toi, toi, toi!

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Im Gespräch mit KünstlerInnen: Hermann J Kassel

Helga Stattler:
Herr Kassel, unser erstes Zusammentreffen war beim Symposium „Kunst fördert Wirtschaft“ in Dortmund. Mich ist damals der Titel der Veranstaltung angesprungen und ich hab mich spontan angemeldet. Wie war das bei Ihnen?

Hermann J Kassel

Hermann J Kassel:
Der Titel war tatsächlich provokant. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Kunst es tatsächlich vermag, der Wirtschaft wichtige neue Räume zu eröffnen, und zwar eben auch im unternehmerischen Interesse. So kann die Kunst auch die Wirtschaft befördern. Ich war auch interessiert dort Menschen zu treffen und zu sehen, wie sind die anderen unterwegs. Wie zum Beispiel der Hirnforscher Gerald Hüther, oder der Künstler Timm Ulrichs aus Münster, das war doch spannend und hochamüsant. Und Sie hab ich doch auch kennengelernt (lacht)!

Helga Stattler:
…. ja, genau, wir sind auch schnell miteinander ins Gespräch gekommen. Es gab aber Zeiten wo es unverträglich war als Künstler sich mit der Wirtschaft einzulassen. Wie war und ist das für Sie?

Hermann J Kassel:Ich habe da zunächst keinerlei Berührungsängste. Bislang ist es auch noch nicht vorgekommen, dass ich aus einem Unternehmen flüchten musste. Aber es  kann schon ein Dilemma geben – zum Beispiel bei der Frage, was ein Unternehmen produziert, kann ich das moralisch vertreten? Oder muss man sich als Künstler/In nicht gerade in die Höhle des Löwen begeben? Zunächst einmal sollten sich Künstler an viele Orte bewegen und Einfluss nehmen. Kunst sollte verändern WOLLEN!

Helga Stattler:
Gibt’s dafür ein Beispiel?

Hermann J Kassel:
Ja, da gab es zum Beispiel die Anfrage eines Spielcasinos bezüglich einer Skulptur. Hier musste ich schon eine Weile darüber nachdenken,  ob ich für ein solches Unternehmen arbeiten möchte.  Aber es hat mir eben auch die Möglichkeit für eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema – „der Jagd nach dem Glück“ – gegeben. Und ist es nicht spannend Menschen gerade an Orten, wo sie kaum Kunst erwarten, mit Kunst zu konfrontieren? Vielleicht vermag diese unerwartete Konfrontation mit einer Skulptur für einen kleinen Moment innezuhalten, positiv zu irritieren. Diese Versuche möchte ich immer wieder unternehmen. Einen Maulkorb lasse ich mir nicht umhängen – dann nicht!

Helga Stattler:
Beschreiben Sie uns doch bitte ein erfreuliches Projekt aus der letzten Zeit.

Hermann J Kassel:
Das war ein Auftrag des BMBF, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Anlass war ein großes Förderprogramm zum Thema „Lernen vor Ort“ und in dessen Rahmen die Jahrestagung mit 500 Teilnehmern im Dezember 2011 in Berlin. Dafür sollte ich eine künstlerische Intervention entwickeln. Es ging um strukturelle Veränderungen in Bildungsfragen. Die Exponenten in den Regionen sollten neue Strukturen aufbauen. Meine Idee war, sie mit den fundamentalen Fragen an sich selbst zu befassen: Bilde ich in meiner Einrichtung tatsächlich? Bin ich bereit zu lernen? Dafür habe ich eine Stempel-Edition  in einer limitierten Auflage von 525 Stück entwickelt mit den beiden Aussagen “ich lerne…..”©, “ich bilde…..”©, dazu 15 Büttenpapierbücher im Schuber. Diese zwei fundamentalen Aussagen eröffnen den ganzen Fragen-, Assoziations- und Affirmationskatalog. Lerne und bilde ich wirklich? Wen? Wie? Warum? Was? Gerne? Notgedrungen?….
Daraus ist eine Bibliothek entstanden, gestaltet von den TeilnehmerInnen. Sie haben eingetragen, was Lernen und Bilden für sie bedeutet. Das Buch soll demnächst digitalisiert und online gestellt werden, damit noch mehr Menschen daran teilhaben können.

Helga Stattler:
Mir ist aufgefallen, dass Sie bei Ihren Projekten immer mit den MitarbeiterInnen gemeinsam arbeiten. Kann das Ergebnis dann wirklich ein „Kunstwerk“ sein?

GETRAG Ford Transmissions

Hermann J Kassel:
Worauf es mir bei meinen Projekten „take part in art”© ankommt ist, mich mit den für das Unternehmen relevanten Fragestellungen zu beschäftigen. Daraus entwickle ich ein Konzept für den Workshop und die hierin entstehende Arbeit. Und dann arbeite ich mit den teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tatsächlich an den Fragen die sie betreffen, um die es sich wirklich dreht. Ich will eine neue Perspektive geben. Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Und es geht mir darum tatsächlich ein Kunstwerk zu konzipieren und mit den Beteiligten zu realisieren. Das Kunstwerk verbleibt dann an exponierter Stelle im Unternehmen. Zum Beispiel die Skulptur für die Zentrale der GETRAG Ford Transmissions in Köln, die beim Strategietreffen der 45 Senior Manager/innen geschaffen wurde. Mein Workshop-Format zielt darauf ab, ein nachhaltiges, bleibendes Ergebnis zu schaffen, welches als geistiger und emotionaler Anker mit Strahlkraft nach innen und außen dauerhaft seinen Platz im Unternehmen hat. So kann es wirksam bleiben.

Helga Stattler: Wie gehen Sie bei einem Projekt vor?

Hermann J Kassel:
Der Kommunikationsprozess ist sehr intensiv. Von aktuellen Fragestellungen bis zu vertraulichen Firmenunterlagen. Das ist ein intensiver Austausch im Vorfeld. Dann stelle ich noch vor dem Workshop der Unternehmensleitung vor, was ich machen werde. Ich versuche einen weiteren Raum zu öffnen, ein anderes Denken, eine andere emotionale Herangehensweise in die Organisation zu bringen.

Helga Stattler:
Sie haben auch eine Dozentur am Rheinischen FührungsColleg und kooperieren mit Beratern. Wie klappt die Zusammenarbeit mit Experten aus diesen Bereichen?

Hermann J Kassel:
Das Wertvolle ist das Netzwerk und der gegenseitige Austausch. Wie arbeiten die klassischen BeraterInnen mit den Kunden, was macht ein Kreativ-Coach? Über dieses Netzwerk ist auch die Frage an mich herangetragen worden, was Kunst in Krankenhäusern bewirken kann. Prof. Wagner initiierte dazu am Klinikum Hildesheim die „KulturStation“, Ende Mai ging dort die Tagung „Kultur kann anders“ über die Bühne.

Helga Stattler:
Danke für diesen Hinweis, genau über solche Initiativen in Organisationen berichten wir in unserem Blog. Und vielen Dank für das Gespräch!

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3 mal 3 = innovative Lösungen

Können eine Schauspielerin, ein Industriedesigner und ein Fotograf gemeinsam ein Unternehmen bei der Lösung eines internen Problems weiterbringen? Die Ergebnisse aus Oldenburg zeigen, dass dies auf höchst kreative Weise möglich ist. Das Modell, das sich in Groningen und Oldenburg bereits bewährt hat, heißt 3×3: jeweils 3 MitarbeiterInnen aus 3 Unternehmen entwickeln mit jeweils 3 KünstlerInnen und einem Coach neue Lösungen für konkrete betriebliche Aufgabenstellungen.

Der Inhaber von 3×3 und Projektleiter in Oldenburg, Peer Holthuizen, Δt Projektkunst, betont, dass nur besonders herausfordernde und komplexe Aufgaben übernommen werden. Worum ging es also bisher unter anderem?

  • Der Wunsch bei der Oldenburgischen Landesbank war, kreative Wege der internen Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen zu entwickeln. Entstanden ist die Idee für ein Redaktionssystem, das gleichzeitig den internen Informationsfluss optimieren und damit das Betriebsklima fördern kann. Das Team des Unternehmens arbeitete mit einer Bildenden Künstlerin (interdisziplinär), einem Komponisten und einem Bildhauer/Schauspieler, der Coach arbeitet im Bereich Organisationsentwicklung.
  • Die AWO, ein Unternehmen im Sozialbereich suchte nach Ideen, trotz zunehmendem Fachkräftemangel kompetente MitarbeiterInnen zu gewinnen. Die Künstler kamen aus den Bereichen Schauspiel, Grafik/Werbung und Bühnenbild, der Coach aus der Unternehmensberatung. Ergebnis war ein Film, den die erfahrenen Fachkräfte der AWO selbst gestalteten und eine grafische Mitmach-Aktion für Schülerinnen und Schüler, um ihnen die Berufe der Sozialwirtschaft auf praktische, anschauliche Weise bewusst zu machen.
  • Die Landessparkasse wollte die Ausbildung optimieren. Ihr Kreativteam bestand aus einer Theater- und Filmpädagogin, einem Musiker und einem (3D-)Computer-Animateur, der Coach war Architekt. Die Lösung bestand u.a. in einem Perspektivcoaching und der persönlichen Begleitung der jungen Bankkaufleute durch Mentoren.
3mal3 TeilnehmerInnen 2011
3mal3 TeilnehmerInnen 2011

Im Gespräch mit Ina Lehner-Jenisch von der Wirtschaftsförderung Oldenburg, die das Projekt unterstützt, wunderte ich mich darüber, dass Designer, Fotografen, Architekten, Schauspieler, Philosophen, Komponisten usw. also querbeet Unternehmer aus der Kreativwirtschaft und „freie“ Künstlerinnen und Künstler erfolgreich zusammenarbeiten. Ihre Antwort: „Dieser Mix ist besonders wichtig. Die Künstler gehen ohne Vorinformationen an die Themen heran. Ihre Stärke sind ihre Spontaneität und ihre kreativen Methoden.“

Was macht die Projekte aus Unternehmenssicht so erfolgreich? Die Kreativteams werden sorgfältig und passend zur Aufgabe zusammengestellt und die Projekte unternehmensintern intensiv vorbereitet. Kriterium für die Auswahl der drei MitarbeiterInnen ist zum Beispiel, dass sie nicht nur motiviert sind, sondern auch die Verantwortung für die Umsetzung der gefundenen Lösungen in der Praxis übernehmen können. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist „die offene Herangehensweise der Kreativen, ihre ‚erbarmungslose’ Sicht auf die gestellte Aufgabe und die gute Stimmung, die bei allen Teams herrscht“, so der Projektleiter. Die Teams aller Unternehmen tauschen darüber hinaus ihre Erfahrungen bei gemeinsamen Roundtables aus.

Und was haben die Künstler davon, außer ein (meiner Meinung nach noch immer zu bescheidenes) Honorar? Sie erleben, dass ihre Fähigkeiten auch in anderen Bereichen gefragt sind. Zitat Michael Olsen, bildender und darstellender Künstler: „Ich habe deutlich gespürt, dass ich als Quergeist, unbequemer Denker und Finger-in-Wunden-leger wirklich ernst genommen werde.“

Da der Erfahrungsaustausch ein wesentliches Element des Erfolgs dieser neuen Form von Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Kunst und Kreativwirtschaft ist, treffen sich die Akteure aus Groningen, Oldenburg und Bremen am 16. Mai in Bremen um voneinander zu lernen.

3mal3_Projektberichte

Im Juni startet in Oldenburg die dritte Runde dieses Modells. Die Unternehmen haben sich bereits beworben, die Teams werden jetzt zusammengestellt.

Ein Erfolgsmodell? KünstlerInnen und Kreative, die sich gerne engagieren, kennen wir. Unternehmen haben sicher ungelöste Probleme! Was meinen Sie dazu?

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