Raumgeboren: Kunst findet nicht nur im Museum statt

Wiesmüller
Erich Wiesmüller

Besuch im Atelier des Bildenden Künstlers Erich Wiesmüller

Einen Künstler im seinem Atelier zu besuchen ist ein besonderes Erlebnis. Im Rahmen des Atelierzyklus von Karin Kirste hatte ich bereits im März 2012 in illustrer Runde Gelegenheit das Atelier des Künstlers Erich Wiesmüller zu erforschen. Jeder Raum bot neue Möglichkeiten neugierig hinter die Kulissen zu schauen: Werke mitten im Arbeitsprozess, hunderte seiner berühmten Tagescollagen, minutiöse Klebebilder, Übermalungen, dann das Archiv an Materialien in Schachteln bis zur Decke, penibel geordnet, große und winzige Räume für Gespräche und die Bar für Kaffee und Dialog.

Für das Blog-Interview traf ich Erich Wiesmüller im November 2013 wieder in seinem Atelier – wieder mit völlig neuen Eindrücken und aktuellen Informationen. Gerade war sein „auftragsbuch“ in Berlin erschienen, ein „Kunstprojekt für raumgestalterisches Schaffen“. Es ist kein Präsentationskatalog sondern ein Kunstbuch. Jedes Exemplar ein Unikat, weil im Fall eines Auftrags darin das eigene Projekt dokumentiert wird. Sie können in diesem „auftragsbuch“  blättern, finden darin Ausschnitte aus seinen Arbeiten und spannende Texte. Um seine Arbeitsweise bei küstlerischen Interventionen zu verstehen, empfehle ich die Seite „Der Künstler greift ein“.

zum mitnehmen
Guerilla-Marketing © Erich Wiesmüller

Sind Sie auf der letzten Seite angelangt? Dann staunen Sie vielleicht, dass aus dem „auftragsbuch“ ein „wanderbuch“ wird.  Es startet nach dem System des Guerilla-Marketing im kunstaffinen Bereich, wird auf- und be-griffen und wandert und wandert, um letztlich bei einem Unternehmen mit der Tür ins Haus zu fallen und zu einer Intervention zu führen. Was braucht es dazu seitens des Unternehmens? Eine entspannte Atmosphäre, also keine gröberen Probleme, damit eine solche Intervention, die einen Bruch mit dem Gewohnten bedeutet, möglich ist. Damit die Menschen in der Organisation sich mit dem Werk auseinandersetzen und reflektieren können, welche Impulse, welche Irritation es auslöst, welchen Sinn es erst dadurch macht. Und möglichst leere Wände. Denn es sind Wandarbeiten, die in ganz engem Kontakt mit dem Unternehmen entstehen.

Inner.Circle © Erich Wiesmüller
Inner.Circle © Erich Wiesmüller

Ein Beispiel dafür ist das Projekt  Inner.Circle  für das Wiener Büro der internationalen Beratung Inner Circle Consultants, die im Bereich Executive Search, Board Consulting, Audits und Coaching tätig ist. Wenn Sie das Kunstwerk, das für diese Organisation von Erich Wiesmüller geschaffen wurde, nah heranzoomen und die Headlines und Satzfragmente lesen, dann merken Sie, dass die Branchenkompetenz des Unternehmens im Finanzbereich liegt.

„Ich habe dem Künstler völlig frei Hand gelassen und es war spannend zu sehen, wie er auf grund seiner Wahrnehmung unsere Organisation interpretiert. Was entstanden ist, das ist authentisch, das spürt man. Wiesmüller hat nicht nur unser Tätigkeitsspektrum als internationale Beratungsorganisation sondern speziell die Stimmung hier in unserem Wiener Büro erspürt und wiedergegeben.“ sagt Susanne Bixner, Partnerin und Leiterin des Wiener Büros von Inner Circle Consultants. „Das Feedback unserer Kunden ist sehr positiv. Sie sind überrascht und beeindruckt, wie unsere Art zu arbeiten einen künstlerischen Ausdruck findet, zum Beispiel dass es uns wichtig ist über den Tellerrand zu schauen. Das Kunstwerk zieht die Aufmerksamkeit auf sich, man findet immer wieder etwas Neues in der Vielfalt der Schnipsel aus Texten, Köpfen, Geldscheinen. Auch ich und mein Team haben noch nicht alles gesehen was dem Künstler aufgefallen ist. So sind wir motiviert immer wieder Details zu entdecken und uns darüber auszutauschen.“

Wertschätzung für die Mitarbeiter, Ressourcen und der Umwelt mit Achtsamkeit begegnen, sind dem Künstler wichtig. Er erlebt oft Mitarbeiter, die „durchgebraint“ sind, die ihre eigenen Stärken nicht mehr sehen, das eigene Potential nicht ausschöpfen. Deshalb lädt er sie ein darauf zu schauen, was in ihnen schon angelegt ist, ihre ureigensten Stärken aber auch Schwächen wieder zu entdecken  – und damit bewusst umzugehen.

Nach einem unserer Workshops für KünstlerInnen wurde Erich Wiesmüller Mitglied des KünstlerInnen-Pools des Instituts für Kunst und Wirtschaft. Im „auftragsbuch“ findet sich übrigens u.a. ein Zitat aus diesem Workshop: „Künstlerinnen und Künstler verfügen über besonders ausgeprägte Fähigkeiten der Wahrnehmung, Interpretation und Transformation. Der Künstler bringt seine Sichtweise ein, stellt in Frage, abstrahiert, verdichtet, löst und verknüpft neu.“ So entsteht eine Kunst-Intervention, die auf- und anregt, die stört und provoziert. Genau das ist ihr Zweck.

Informationen: www.raumgeboren.at

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Susanne Haun

    Ein interessanter Bericht, Helga.
    Ich lese gerade vom Genie des Künstlers in der Renaissance und im Barock, was gut zu deinem Zitat passt!
    Einen schönen Abend wünscht dir Susanne

    1. Helga Stattler

      Liebe Susanne,
      das ist interessant – welches Buch liest du darüber und welche Übereinstimmung siehst du? Das Zitat beschreibt ja eine zentrale Fähigkeit von KünstlerInnen, die von der Gesellschaft viel zu wenig wahrgenommen wird.

      1. Susanne Haun

        Liebe Helga,
        es ist eines aus einer Reihe von Büchern.
        Eben habe ich über „das Genie“ in Metzlers Lexikon der Kunstwissenschaft gelesen. Ich bereite gerade ein Referat über die „Nachrichten von Künstlern und Handwerker“ von Johannes Neudörfer vor.
        Ich finde eigentlich, dass zur Zeit die Künstler und die Kunst sehr in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Ausstellungen werden zu Events gemacht und an den Museen stehen lange Schlangen.
        Kunst ist durchaus „hipp“.
        Aber du redest vom Ingenium des Künstlers, der schöpferischen Kraft.
        Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich nicht wahrgenommen wird, diese Kraft, das Genie, das vom Künstler ausgeht. Da hast du recht.
        Grüße von Susanne

      2. Helga Stattler

        Genau, ich meine nicht das unerreichbare und exklusive Genie, sondern die besonderen Fähigkeiten und Begabungen von KünstlerInnen, wie sie auch in diesem Zitat beschrieben werden. Es ist die Fähigkeit intensiv wahrzunehmen und mit künstlerischen Mitteln etwas auszudrücken, was dann von anderen begriffen werden kann, selbst wenn es vorher nicht bewusst war. Das Begreifen passiert aber nicht logisch-analytisch, sondern durch emotional bewegt und berührt werden.
        Die Museen melden auch in Österreich steigende Besucherzahlen. Uns geht es aber nicht nur um die Kunstwerke sondern vor allem um die Person der Künstlerin, des Künstlers. Es gibt da noch große Berührungsängste und Vorurteile in der Begegnung mit KünstlerInnen. Dafür braucht es auch eine einladende Atmosphäre, einen Galeristen, eine Galeristin die diese Begegnung und Gespräche auf Augenhöhe unterstützt. Oder Künstlerinnen wie dich, die so offen sich selbst, ihre Arbeit und ihr Atelier virtuell und live erleben lassen.

  2. Susanne Haun

    Danke für das Lob, Helga.
    Ich wünschte mir manchmal schon eine gute Galeristin oder Galeristen.
    Es würde doch vieles einfacher machen und ich hätte mehr Zeit zum Zeichnen ….
    LG Susanne

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