Im Gespräch mit KünstlerInnen: Gerhard Flekatsch

Helga Stattler:
Du bist Mitglied eines Netzwerks, das sich den Diskurs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst als Aufgabe gestellt hat. Was wollt ihr damit erreichen?

Gerhard Flekatsch:
Ohne schöpferische Tätigkeit landet unsere Gesellschaft in der Sackgasse. Die Einbeziehung von Kreativarbeit in andere Disziplinen ist für eine positive Entwicklung sehr wichtig, das beweisen etliche Studien. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Wissenschaften. Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Systemen müssen erkannt und aufgezeigt, Denkstrukturen verändert, neue Impulse gesetzt werden. Dazu können Künstlerinnen und Künstler beitragen und es ist eigentlich erstaunlich, dass ihre Fähigkeiten noch nicht intensiv genutzt werden. Sie haben die Fähigkeit zu erkennen was andere nicht sehen, sie finden Muster, sie interpretieren neu und ermöglichen eine erweiterte Perspektive.

Helga Stattler:
Was kann eine Künstlerin, ein Künstler in der Wirtschaft bewirken?

Gerhard Flekatsch:
Zunächst müssen wir uns klarmachen, dass Kunst heute einer der ganz wenigen Bereiche ist, in denen es nicht um die Erfüllung von Zielvorgaben geht, sondern um eine ganzheitliche Wahrnehmung und deren Transformation in universelle Ausdrucksformen. Für ein erfolgreiches Projekt braucht es den Diskurs zwischen Wirtschaft und Kunst auf Augenhöhe. Das gemeinsame Gespräch, in dem Fragen gestellt werden die uns gleichermaßen interessieren und die zu Themen führen, die uns alle betreffen. Wenn es Gemeinsamkeiten gibt, dann können daraus konkrete Projekte entstehen. Wesentlich ist dabei, dass die Möglichkeiten der KünstlerInnen nicht bloss als ein zusätzliches betriebswirtschaftliches Tool verstanden werden,  sondern ein methodisches Hinterfragen der vorhandenen Vorstellungen und Strukturen zugelassen wird.
Die Initiative KWW (Kunst Wirtschaft Wissenschaft) wurde von einem Unternehmer, einer Technikerin und Kunsthistorikerin und zwei Künstlern gemeinsam gegründet. Gerade in der Unterschiedlichkeit der Arbeitsmethoden liegt der wechselseitige Gewinn. Innovation gibt es nicht auf Bestellung – aber sie wird durch geeignete Rahmenbedingungen und erweiterte Horizonte gefördert.

Helga Stattler:
Wie kam es zu der Initiative?

Gerhard Flekatsch:
Wir sind einmal zusammen gesessen – eine Gruppe von Menschen aus der Kunst, der Kunstgeschichte, der Technik und der Wirtschaft – und sind dabei auf Themen gestoßen, die uns alle beschäftigen. Und die Runde war fruchtbarer, konstruktiver als die klassischen Podiumsdiskussionen. Daher beschlossen wir, dem Kontinuität zu geben, sozusagen am „Küchentisch“ sitzend. Die informelle Atmosphäre ermöglicht ein offenes Gesprächsklima. Die Meetings haben ein Thema und eine Intention, aber die Gespräche selbst, der Weg und die Ergebnisse müssen völlig offen sein. Die Qualität, die Künstler hier einbringen, ist das Spielerische, dass die Aufmerksamkeit sich in jede beliebige Richtung bewegen, die Phantasie sich entwickeln kann, neue Betrachtungsweisen, ein ganzheitliches Bild entsteht. In hierarchischen Strukturen ist das verloren gegangen. Der Fokus auf ein verordnetes Ziel verhindert meist erweiterte Blickwinkel.

Helga Stattler:
Wie hat sich die Rolle der Kunst in der Gesellschaft entwickelt?

Gerhard Flekatsch:
Kunst war über Jahrhunderte in der gebildeten Klasse, die die Macht hatte, geschätzt und gleichzeitig gefürchtet wegen ihrer aufklärerischen Wirkung. Die große Masse hatte keinen Zugang zur Kunst. Seit etwa 150 Jahren gibt es zwar eine Öffnung, aber den Menschen wurde kaum vermittelt, wie sie sich der Kunst annähern könnten. Und nun hat der Markt die Kunst entdeckt, der Kunstmarkt boomt. Die Verdinglichung von Kunst als Marktobjekt steht dem Verständnis von Kunst im Weg. Kunst ist nicht nur über Werke zu begreifen, sondern als Wahrnehmungsweise, als Einstellung, als Möglichkeit der Auseinandersetzung. Dann hat Kunst eine gesellschaftspolitische Funktion. Gerade in Europa könnte die Kunst die vielen Unterschiedlichkeiten, die oft ausgrenzend empfunden werden, als verbindende Vielfalt thematisieren. Dazu müssten die Projekte allerdings auch emotional berühren und die Menschen mit einbeziehen. Das würde Aha-Erlebnisse möglich machen und den wünschenswerten Brückenschlag.

Helga Stattler:
Zurück zur Initiative KWW, kannst du mir ein Projekt nennen, das hier entstanden ist?

Gerhard Flekatsch:
2011/12 gab es drei Veranstaltungen mit Themen wie zum Beispiel „Bilder im Kopf“, „Regionale Identität“ oder „Satt und hungrig“ – was braucht der Mensch alles? Dabei diskutierten Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen miteinander und kamen zu erstaunlichen Einsichten. Außerdem hat jeder ein bisschen mehr über die Denkweisen und Methoden in diesen anderen Bereichen erfahren, seien es jetzt die Medien, die Wirtschaft, die Kunst oder die Technik.

Helga Stattler:
Wie wichtig ist dieses technische Knowhow der Künstler?

Gerhard Flekatsch:
Es hilft natürlich in der Kommunikation zwischen den verschiedenen Welten.

Helga Stattler:
Du bringst ja auch vielfältige Erfahrungen mit.

Gerhard Flekatsch:
Das ist richtig. Ich war immer künstlerisch tätig. Schon während meines Medizinstudiums habe ich eine Theatergruppe gegründet, musiziert, fotografisch und malerisch gearbeitet. Im Studium erkannte ich, wie rasch theoretisches Wissen durch neue Erkenntnisse obsolet wird, dass sich dauernd etwas ändert. Der dogmatische Anspruch seiner Vertreter hat mich oft auch irritiert. Vieles ist erst aus dem jeweiligen Zeit- und Kulturgeist heraus verständlich. Dazu hatte ich während meiner Tätigkeit bei der Ärzteflugambulanz einige Schlüsselerlebnisse: Es ging oft um das Überleben des Patienten und in Extremsituationen mussten Entscheidungen getroffen werden. Da erlebte ich, dass es viele Sichtweisen gibt, entsprechend den kulturellen Werten im jeweiligen Land. Gleichzeitig war eine exakte, minutiöse Planung notwendig und kommerziell erfolgreich musste man auch sein. Ich trug 5 Jahre als Geschäftsführer dafür die Verantwortung. Lösungen findet man nur, wenn man die vertrauten Grenzen überschreitet und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen gelingt.

Helga Stattler:
Wann hast du dich dann ganz für die Kunst entschieden?

Gerhard Flekatsch:
2005 wurde mir bewusst, dass mir zu wenig Zeit und Energie für die Kunst blieb. Kunst ist ja nicht nur das Kunstwerk an sich, sondern es geht darum, Kunst zu leben, es als Teil von sich zu verstehen. Man muss sich selbst relativieren, den Bereich des Intellekts und der Sinne verbinden um zu einem erweiterten Wahrnehmungskonzept und Selbstverständnis zu gelangen.

Helga Stattler:
Und was motiviert dich jetzt, dich mit der Beziehung zur Wirtschaft auseinander zu setzen?

Gerhard Flekatsch:
Die Wirtschaft hat so einen großen Einfluss auf die Menschheit, dass eine Veränderung nur unter Einbeziehung der Wirtschaft erfolgen kann. Sie dominiert gemeinsam mit den Medien die öffentliche Wahrnehmung. Denken wir nur an die größeren Städte überall auf der Welt, das Straßenbild ist voll von suggestiven Werbebotschaften. Nun ist die Wirtschaft an einem Punkt angelangt, an dem die gängigen wirtschaftlichen Mechanismen, die in Zeiten des Aufschwungs funktioniert haben, nicht mehr so greifen. Mit der Formel „Ursache-Wirkung“ können wir nicht alles erklären. Um sinnvoll handeln zu können geht es darum, vom reinen Zweckdenken wegzukommen, Abstand zu gewinnen, die Wahrnehmung weiter zu entwickeln, die Bedeutung des Einzelnen für das Ganze zu erkennen. Wie kann man lernen, nicht nur aus der Ich-Position heraus zu agieren sondern ebenso die Wir-Position zu vertreten? Dann wären andere Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens möglich – das ist für Menschen in Entscheidungspositionen eine brandaktuelle Frage, für uns alle die essentielle Herausforderung der Zeit.

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